Wandern ist die beliebteste Sportart der Schweizer. Doch was fasziniert uns an den Bergen? Marco Mehli, Vizepräsident des Schweizer Bergführerverbandes, muss es wissen. Er sprach mit Schönesleben über das Wanderland Schweiz, ungewohnte Ruhe und ein altes Stück Brot, das glücklich macht.
Die Woche ist hektisch und der Alltag laut. Am Wochenende sehnt man sich nach einem Kontrastprogramm, denn nach all den Pflichten und To-Do-Listen muss der Kopf gelüftet und der Körper bewegt werden. Dass die Mehrheit der Schweizer hierfür weder das Laufen, Radfahren oder Schwimmen vorzieht, zeigt die Studie «Sport Schweiz 2014». Die beliebteste Sportart ist hierzulande das Wandern.
Einer, der in den Bergen aufwuchs und dort rund 200 Tage pro Jahr verbringt, ist Marco Mehli. Der Vizepräsident des Schweizer Bergführerverbandes weiss, warum die Schweizer am liebsten in den Bergen sind – schliesslich sagt er über sich selbst: «Bergführer war mein erster Beruf und wird auch mein letzter sein, den gebe ich nicht mehr her».
Herr Mehli, was fasziniert Sie an Ihrem Beruf als Bergführer?
Ich liebe die Arbeit in der Natur. Noch dazu in einer so wunderschönen und herrlichen Natur wie den Schweizer Bergen. Ausserdem trage ich gerne Verantwortung. Und natürlich fasziniert mich die Arbeit mit Menschen. Wenn man in den Bergen ist, sieht man, wer jemand wirklich ist, und nicht, wer er vorgibt zu sein.
In den Bergen zeigen wir also unser wahres Gesicht?
Ja, das liegt einerseits an der Anstrengung, andererseits am Respekt vor dem Ungewohnten und der Macht der Berge. Der Mensch kann keine Rolle mehr spielen, es geht nur noch um die Grundwerte des Lebens. Und um alles, was einfach ist. Ich habe letzten Winter eine Griechin auf eine Schneeschuhwanderung begleitet. Wir sind auf ein kleines Älpli gegangen und als wir oben waren, habe ich ihr eine Suppe gekocht. Von zuhause habe ich noch ein Stück altes Brot und Käse mitgebracht. Und obwohl diese Frau den grössten Luxus gewöhnt ist, haben ihr das harte Brot und der einfache Käse hervorragend geschmeckt.
Sie führen aber nicht nur wohlhabende Touristen durch die Berge.
Nein, auch ganz gewöhnliche Leute, mit denen ich meine Liebe zur Natur teilen kann. Städter begleite ich auch sehr gerne. Ich zeige ihnen dann, dass die Probleme, wegen denen sie jeden Tag gestresst sind, eigentlich ganz klein sind. Und dass es etwas viel Grösseres gibt.
Warum fühlen wir uns in den Bergen unbeschwerter?
Ein wesentlicher Punkt ist wahrscheinlich die Ruhe, die man so nur in den Bergen findet. Man spürt sie am ganzen Körper, hört sein Herz schlagen und das Blut in der Stirn fliessen. Viele Menschen halten diese Stille gar nicht mehr aus. Sie ist ihnen am Anfang fast unangenehm. Wenn ich merke, dass jemand rastlos ist und immerzu redet, fordere ich ihn auf die Natur zu geniessen und zu spüren, dass er ein Teil von ihr ist. Lässt man das zu, fühlt man sich ganz leicht und vergisst seine Alltagssorgen. Das ist wirklich schön.
Hopp Schwiiz! Die sportliche Schweiz in Zahlen
Immer mehr Schweizer treiben Sport. Insgesamt betätigen sich 69% regelmässig, der Anteil an Nichtsportlern liegt bei 26%. Im internationalen Vergleich zählt die Schweiz zu den sportlich aktiven Ländern. Die Gründe für den Bewegungsdrang der Schweizer sind vielfältig und beruhen nicht nur auf Gesundheit und Fitness. Auch die Freude am Sport, das Naturerlebnis und Entspannung stehen im Vordergrund. Die beliebteste Sportart ist Wandern (44,3%), gefolgt von Radfahren (38,3%), Schwimmen (35,8%), Skifahren (35,4%) und Jogging (23,3%).
(Quelle: Sport Schweiz 2014, Bundesamt für Sport BASPO)
Das sehen die Schweizer offenbar auch so. Wandern ist hierzulande die beliebteste Sportart: 44 Prozent schlüpfen in die Berg- und nur 23 Prozent in die Joggingschuhe. Wie erklären Sie sich die Wanderlust der Schweizer?
Je künstlicher unser Alltag wird, desto grösser wird die Sehnsucht nach der Natur. Es gibt aber noch einen anderen Grund: Wir sind an so viele Regeln gefesselt, dass wir uns manchmal grenzenlose Freiheit wünschen. Und die findet man eher in den Bergen als beim Joggen. Wenn man in einem Wald in Stadtnähe laufen geht, befindet sich immer noch in geschütztem Gebiet. Das ist in den Bergen nicht so, man ist schneller auf sich gestellt.
Waren Sie selbst schon in gefährlichen Situationen?
Ja, mehrmals. Interessanterweise ist das auch ein Grund, warum viele in die Berge gehen. Sie suchen die Herausforderung. Wenn man in Grenzsituationen kommt, ist es aber wichtig, dass man sich selbst richtig einschätzt. Das können viele Menschen nicht, weil ihnen die Erfahrung fehlt. Hier kann ich als Bergführer helfen, die eigenen Grenzen zu erkennen oder zu überwinden.
«Es gibt keine bessere Schule als die Berge», sagte Reinhold Messner. Sie arbeiten seit 1979 als Bergführer. Was haben Sie von den Bergen gelernt?
Demut. Wir überschätzen uns oft selbst und geben uns im Weltgeschehen eine viel zu grosse Bedeutung. Wenn man die Grösse der Berge sieht, merkt man erst wie klein man ist.
Zur Person: Marco Mehli ist Vizepräsident des Schweizer Bergführerverbandes und seit 1976 als Bergführer tätig. Der passionierte Alpinist arbeitete auch als Skilehrer und Rettungspilot bei der Schweizerischen Rettungsflugwacht Rega. Marco Mehli verbringt rund 200 Tage pro Jahr im Gebirge; seine Lieblingstour führt auf den Palü.
Gewicht, Blutdruck und Herz: Wandern hält gesund
Wandern ist nicht nur gut für die Seele, sondern auch den Körper. Das zeigt die erste wissenschaftliche Untersuchung zum Gesundheitswandern. Laut der deutschen Studie sank bei Probanden, die zweimal pro Woche zwei Kilometer zurücklegten, nicht nur der Blutdruck, auch das Körpergewicht und der Körperfettanteil verringerten sich. Verbesserungen stellten sich auch bei der Herzfrequenz und Ausdauer ein. Demnach haben bereits kurze Wanderstrecken einen positiven Effekt auf die Gesundheit.
(Quelle: Studie zum Gesundheitswandern 2012, Universität Halle-Wittenberg, Deutschland)
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