Kneippen: Vorsorgen und gesund leben
WASSERKUR

Kneippen ist mehr als kalte Fussbäder

Wassertreten, Fussbäder und Kräuter-Wickel sind für die weltweit bekannte Kneipp-Therapie charakteristisch. Kneippen ist aber mehr als nur Wassertherapie. Denn der Namensgeber und Pfarrer Sebastian Kneipp entwickelte vor rund 170 Jahren ein Konzept, das sich ganz einem gesunden Lebensstil verschrieb.

Wer «Kneippen» hört, denkt an kalte Bäder und Wassertreten. Das feuchte Nass ist zwar wesentlicher Bestandteil eines Behandlungskonzepts, das seinen Namen dem deutschen Pfarrer Sebastian Kneipp zu verdanken hat. Doch die alternative Therapie, die Mitte des 19. Jahrhunderts einen regelrechten Hype erlebte, ist mehr als Kalt-Warme-Duschen. Vielmehr trachtete Kneipp nach einem ausgewogenen Lebensstil. Der «Wasserdoktor» entwarf ein ganzheitliches Konzept, das auch Ernährung, Bewegung und Entspannung beinhaltete. Kurz: Kneipp warb für einen gesunden Lebensstil. Dieser unterlag Rahmenbedingungen, die vor 170 Jahren galten. Heute würde kaum jemand Milch- oder Mehlsuppe empfehlen oder Eltern raten, kränkliche Kinder im Herbst barfuss laufen zu lassen. Doch der Gedanke, dass Gesundheit mit einem bewussten Lebensstil einhergeht, ist nach wie vor aktuell.  

Kneippen – oder fünf Elemente für ein gesundes Leben

«Wer nicht jeden Tag etwas Zeit für seine Gesundheit aufbringt, muss eines Tages sehr viel Zeit für die Krankheit opfern» (Sebastian Kneipp)

Vorsorgen und die Gesundheit erhalten – so lässt sich das Prinzip hinter dem Kneipp'schen Therapiekonzept wohl am besten zusammenfassen. Das gelang laut Kneipp durch einen ganzheitlichen Ansatz, der Körper und Seele gleichermassen Beachtung schenkt. Darum unterteilte er seine Therapie auch in fünf Bereiche: Wasser, Ernährung, Bewegung, Pflanzen und Ordnung.

Wasser – die Hydrotherapie

«Ich möchte wissen, welche Krankheit in eine verweichlichte Natur nicht leicht eindringen kann, während eine abgehärtete Natur sich nicht das Geringste daraus macht.» (Sebastian Kneipp)

Ein zentrales Element beim Kneippen ist die Wassertherapie, welche hauptsächlich mit Temperaturreizen arbeitet. Denn das Wechselspiel von Kalt und Warm stimuliert den menschlichen Organismus. Sinkt die Körpertemperatur, ziehen sich die Muskeln, die unsere Blutgefässe umgeben, zusammen. Bei Wärme entspannen sie sich hingegen. Dieses An- und Entspannen fördert die Durchblutung und trägt dazu bei, dass die Blutgefässe elastisch bleiben. Das ist vorallem bei Gefässerweiterungen wie Krampfadern von Vorteil.

Neben der Blutzirkulation soll die Wassertherapie auch das Immunsystem verbessern. Studien belegen tatsächlich den Anstieg von körpereigenen Immunzellen. Offenbar passte sich das Immunsystem an die wechselnden Temperaturreize an und wurde somit gestärkt.

Kneippen: Vorsorgen und gesund leben

Ernährung – ausgewogen und vollwertig

«Es muss grosse Sorge darauf verwendet werden, dass unverfälschte Nahrungsmittel und besonders gutes Naturmehl in die Küche kommen.» (Sebastian Kneipp)

Keine Diät, sondern eine gesunde, vernünftige und massvolle Ernährung – was Sebastian Kneipp Mitte des 19. Jahrhunderts für wesentlich hielt, könnte auch das Fazit der Beratung eines modernen Ernährungsberaters sein. Diese rät zu viel Gemüse und Obst, Vollkornprodukten, beim Fett zu sparen und reichlich zu trinken. Lebensmittel sollten am besten frisch und naturbelassen konsumiert werden. Bei den Portionen gilt: Weniger ist mehr. 

Bewegung – mit Mass

«Untätigkeit schwächt, Übung stärkt, Überlastung schadet.» (Sebastian Kneipp)

Wer gesund bleiben und Krankheiten vorbeugen will, sollte regelmässig körperliche Bewegung in seinen Alltag integrieren. Und das am besten in der Natur. «Bewegungstherapie» nannte Kneipp diesen Aspekt und hatte hier keinesfalls intensives Kraft- oder Ausdauertraining im Sinn. Vielmehr gilt auch hier wieder: Wer rastet, der rostet – wer es übertreibt, aber auch.

Ordnung – Balance und Ruhe

«Erst als man den Zustand ihrer Seele erkannte und da Ordnung hineinbrachte, ging es mit dem körperlichen Leiden auch besser.» (Sebastian Kneipp)

Was vor 170 Jahren als «Ordnungstherapie» bezeichnet wurde, lässt sich heute wohl am besten mit «Work-Life-Balance» oder «Wellness» übersetzen. Denn gemeint waren bewusste Ruhe- und Entspannungspausen, in denen der Geist auch mal abschalten darf. Ein ausgeglichener Lebensstil, der Platz für Wohlbefinden lässt, Rituale und Regelmässigkeiten sowie weniger Stress – denn der macht bekanntlich krank.

Pflanzen – die Phytotherapie

«...viele hundert Pflanzen und Kräuter [werden] für wertlose Unkräuter gehalten, anstatt dass man sie beachtet, bewundert und gebraucht.» (Sebastian Kneipp)

Heilkräuter und -pflanzen in Tees, Badezusätzen oder Pflegeprodukten vervollständigen das ganzheitliche Konzept. Für innere und äussere Beschwerden setzte Kneipp rund 45 Pflanzen ein, deren Wirkung heute sogar wissenschaftlich belegt ist.

Kneippen für Zuhause

Das kalte Armbad – macht müde Geister munter

Ein kaltes Armbad wirkt belebend, regt den Stoffwechsel an und stärkt die Abwehrkräfte. Aufgrund seiner muntermachenden Wirkung wird es auch als «gesunde Tasse Kaffee des Kneippianers» bezeichnet und am späten Vormittag oder frühen Nachmittag empfohlen.

So gehts: Achten Sie darauf, dass Ihre Arme warm und nicht kalt sind. Füllen Sie nun eine Schüssel Wasser oder das Waschbecken mit kaltem Wasser – die Temperatur sollte zwischen 12 und 18 Grad betragen. Tauchen Sie nun Ihre Arme ein, bis Sie ein Kältegefühl wahrnehmen (vermutlich nach 30 bis 40 Sekunden). Reissen Sie die Arme nun nicht aus dem Wasser, sondern atmen Sie ruhig weiter. Wenn Sie möchten, können Sie auch Ihren Nacken mit etwas Wasser bestreichen. Streifen Sie das kühle Nass nun sanft ab anstatt sich abzutrocknen. Ziehen Sie sich anschliessend etwas Warmes an und bewegen Sie sich.

Kalter Schenkelguss – bei Cellulite und Krampfadern

Der kalte Schenkelguss fördert die Durchblutung und soll entstauend und kräftigend auf die Venen wirken. Empfohlen wird er vorallem bei schwachem Bindegewebe, Cellulite oder Krampfadern. Bitte nicht anwenden, wenn man zu niedrigem Blutdruck neigt.

So gehts: Stellen Sie sich in die Dusche oder Badewanne – der Oberkörper bleibt dabei bekleidet. Wählen Sie zu Beginn eine angenehme und warme Wassertemperatur uns starten Sie beim rechten Fuss. Führen Sie den Wasserstrahl an der Beinaussenseite nach oben bis zur Hüfte. Hier halten Sie kurz inne und lassen das Wasser fliessen. Anschliessend führen Sie den Strahl an der Beininnenseite wieder Richtung Fuss nach unten. Wiederholen Sie das Ganze nun am linken Bein. Danach wählen Sie eine kühlere bzw. kalte Wassertemperatur und beginnen wieder beim rechten Bein. Der Kalt-Warme-Schenkelguss sollte pro Bein je zweimal wiederholt werden. Zuletzt begiessen Sie Ihre Fusssohlen. Packen Sie sich anschliessend warm ein, ziehen Sie sich Socken an und bewegen Sie sich.

Kneippen: Hokuspokus oder Wunderkur?

Der bayrische Pfarrer Sebastian Kneipp galt als «Cholera-Kaplan» und heilte Patienten, die von Schulmedizinern bereits aufgegeben wurden. Somit ist der Hype, der Mitte des 19. Jahrhunderts um die Hydro- bzw. Wassertherapie ausbrach, nachvollziehbar. Wissenschaftliche Studien im 21. Jahrhundert lassen diese Blase aber platzen. Denn Stiftung Warentest befand in seinem 2005 erschienenen Test-Bericht «Die Andere Medizin», dass die ganzheitliche Wirkung von Kneippen «nicht nachgewiesen» werden kann. Allerdings bestätigt das Institut positive Effekte einzelner Anwendungen – beispielsweise bei Gefässerkrankungen wie Krampfadern oder zur Stärkung der Immunabwehr.

Ein Befund, der die Kneipp-Therapie nicht zu stören scheint. Schliesslich möchte sie die herkömmliche Schulmedizin nicht ersetzen, sondern ergänzen. Bei schweren Herzerkrankungen oder niedrigem Blutdruck wird von einigen Behandlungen sogar abgeraten. Im Fokus steht vielmehr der Gedanke die eigene Gesundheit mit einem bewussten und ganzheitlichen Lebensstil zu erhalten. Und dem kann man eigentlich nur zustimmen.

Der Wasserdoktor, der sich selbst heilte

Sebastian Kneipp wurde 1821 im deutschen Allgäu in ärmlichen Verhältnissen geboren. Da seine Eltern ihm keine Schulausbildung finanzieren können, arbeitet er als Tagelöhner, und trat erst mit 23 Jahren ins Gymnasium ein, wo er das Theologiestudium begann. Kurz darauf erkrankte er an einer schweren Lungen-Tuberkulose. In einer Bibliothek stösst er auf das Buch «Unterricht von der Heilkraft des frischen Wassers» von Johann Siegmund Hahn und heilt sich anschliessend selbst durch winterliche Bäder in der eiskalten Donau. Die Genesung von der als unheilbar geltenden Krankheit legte den Grundstein für Kneipps weiteres Schaffen.

Text: Nina Grünberger / Titelbild: MikeLaptev, iStock, Thinkstock; Bild Mitte: Ron Chapple Stock, Ron Chapple Studios, Thinkstock

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