Der Rücken schmerzt, der Nacken auch und die Schultern erst recht. Doch wer Verspannungen lösen möchte, sollte auch einen Blick ins Innere wagen. Denn dort steckt oft die Wurzel allen Übels, weiss der ganzheitlich arbeitende Physiotherapeut Athanasios Dachtiloudis.
«Sie sollten loslassen», sagt Tao nach der Behandlung. Die junge Frau schaut ihn fragend an. Seit einem Monat quält sie ein Schmerz in der rechten Schulter. An manchen Tagen strahlt er in den Arm aus und macht die Büroarbeit äusserst mühsam. Ein Besuch bei dem Zürcher Physiotherapeuten und Masseur Athanasios Dachtiloudis – kurz Tao – sollte die verspannten Muskeln wieder lockern. Schweigend lag die junge Frau nun die letzte Stunde auf der Liege, während der Masseur sanft die verkrampften Stellen behandelte. Hin und wieder entfuhr ihr ein Stöhnen, wenn Tao einen Punkt traf, der schmerzte.
Rückenschmerzen zählen zu den häufigsten gesundheitlichen Beschwerden. 80 Prozent der Schweizer leiden darunter, meistens quält sie das Kreuz oder der untere Rücken. Das ergab eine Erhebung zur Rückengesundheit, die 2011 im Auftrag der Rheumaliga Schweiz durchgeführt wurde. Zurückzuführen sind die Beschwerden laut der Studie auf Muskelverspannungen, Überbelastungen oder falsche Bewegungen. Doch es ist ein anderes Ergebnis, das überrascht: 85 Prozent der Rückenprobleme sind nicht zuordenbar. Sie entstehen weder durch Veränderungen der Wirbelsäule noch durch Erkrankungen.
Das Innenleben zeigt sich im Aussen
«Körper und Seele sind miteinander verwoben», sagt Tao. Dass es für Rückenschmerzen oft keine medizinischen Ursachen gibt, weiss er aus der Praxis: «Verspannungen werden meiner Erfahrung nach meistens durch Lebensumstände verursacht. Und dazu gehören auch unsere Gefühle.» Wenn sich Liebeskummer in Muskelverspannungen äussert, ist das für Tao nicht verwunderlich. Und nur ein Beispiel von vielen. Wer sehr rational durchs Leben gehe, leide oft unter Verspannungen zwischen den Schulterblättern. Schmerzen im unteren Rücken seien dagegen oft auf eine gewisse Unsicherheit zurückzuführen. «Das Innenleben zeigt nunmal sich im Aussen», sagt Tao.
Stress ist oft für Verspannungen verantwortlich
Dem Einfluss der Psyche auf den Körper hat sich sogar eine eigene Forschungsrichtung verschrieben: die Psychosomatik. Sie begibt sich auf die Suche, wenn Patienten unter chronischen Schmerzen oder Erkrankungen leiden, denen keine organische Ursachen zu Grunde liegen. Ein Übeltäter, der immer wieder genannt wird, ist Stress. Und in vielen Fällen eben auch für Rückenschmerzen verantwortlich. Die Erklärung hierfür ist simpel: Stress war ein evolutionsbedingter Überlebensmechanismus, der den menschlichen Körper in Gefahrensituationen in Lauerstellung versetzte. Wenn aus der Muskelspannung allerdings ein Dauerzustand wird, verspannen wir. So ist es auch nicht verwunderlich, dass 25 Prozent der Befragten im Rahmen der Studie zur Rückengesundheit angaben, dass sie ihre Beschwerden vorwiegend Stress, Sorgen und Problemen zuordnen.
Eine Massage trägt unsere Dickhäutigkeit ab
«Unser Körper sendet uns Signale, wir müssen sie nur rechtzeitig erkennen», sagt Tao. An diesem Punkt setzt er mit seiner Massage an. «All die Dickhäutigkeit, die wir uns angeeignet haben, um beispielsweise im Berufsleben zu bestehen, wird abgetragen». Zum Vorschein kommen dann Bedürfnisse, Wünsche und Sehnsüchte, die im Alltag unter Verschluss gehalten werden, oder Liebeskummer, Rationalität und Unsicherheit.
Dass unsere Seele bei einer Massage blank zieht und Innerstes erfühlbar wird, scheint ungewöhnlich. Für Tao ist es aber ganz natürlich. «Jeder Therapeut, der länger mit Menschen arbeitet, entwickelt diese Wahrnehmung», erklärt er. Auch in der Medizin gäbe es Ärzte, die bei Diagnosen nicht gängigen Krankheitsbildern, sondern ihrem Gefühl folgen – und ins Schwarze treffen. Dieser sechste Sinn sei nicht sonderbar, sondern etwas, mit dem jeder Mensch ausgestattet ist. Beispielsweise wenn man an jemanden denkt, kurz bevor das Telefon klingt, oder Mütter spüren, ob es ihren Kindern gut geht. Als Physiotherapeut und Masseur setze er diese Wahrnehmung nur gezielter ein, um Klienten auf die Sprünge zu helfen, wenn der Körper verkrampft.
Die sprichwörtliche Last auf unseren Schultern
Und dieser Sprung gründet meistens im Inneren. «Wir spüren, wenn wir Hunger oder Durst bekommen, aber dass wir wieder mal in der Natur spazieren gehen sollten, nehmen wir nicht wahr», sagt Tao. Wenn der Beruf oder die Beziehung nicht mehr passt, uns Ängste und Sorgen quälen, tragen sich diese Kräfte innerhalb des Körpers aus und führen wiederum zu Verspannungen. Wer also unter permanenten Schmerzen im Schulterbereich leidet, trägt sprichwörtlich zu viel Last auf den Schultern? «Diese Sprüche sind nicht zufällig entstanden, sondern aus Beobachtungen. Aber mit Gefühlen verhält es sich glücklicherweise wie mit Regenwolken: Wenn sie gefühlt werden und abregnen dürfen, klärt sich der Himmel wieder auf.»
Da nicht nur Verspannungen, sondern auch Gefühle aufgelöst werden möchten, ist Tao nicht nur Masseur, sondern auch Coach. Eine Kombination, die für ihn nur naheliegend ist. «Eine Massage kann aufdecken, was im Alltag verschüttet ist. Und wenn der Klient es möchte, kann ich ihm mitteilen, was ich gefunden habe.» Ein Angebot, das manche anfangs allerdings überfordert. Schliesslich wünscht man sich eine schnelle Linderung, die Muskeln sollen wieder funktionieren und nicht mehr schmerzen. «Es gibt Menschen, die Zeit brauchen sich mit den Dingen, die bei der Massage ausgelöst wurden, vertraut zu machen. Und andere, die zu schätzen wissen, was sie gefunden haben.»
Gefühle und Verspannungen lösen
Doch wie geht man mit den Emotionen, Wünschen und Bedürfnissen um, die gefunden wurden? Schliesslich unterliegen wir im Alltags- und Berufsleben Regeln, denen man sich anpassen muss, und stressige oder schwierige Zeiten kehren immer wieder. Es ist einfacher als wir denken, glaubt Tao. «Man muss nicht aussteigen, um selbstverantwortlich zu leben. Der erste Schritt, um aus einem unfreiwilligen Lebensfluss auszubrechen, ist zu erkennen, dass es nicht ein 'entweder – oder', sondern auch ein 'und' sein kann.» Wer acht Stunden pro Tag Denkarbeit leistet, sollte sich in seiner Freizeit einen Ausgleich suchen, der den Körper und nicht den Kopf fordert. Stichwort: Work-Life-Balance. Ein Spaziergang in der Natur oder meditatives Yoga sind laut dem Physiotherapeuten eine gute Möglichkeit, wieder zu sich zu finden. Oft benötigt es aber auch grössere Veränderungen, um den Körper und das Innenleben wieder zu entspannen. «Gesundheit ist sehr komplex. Darum muss man sich auch fragen: Was will ich in meinem Leben?», sagt Tao. Wer Muskelverspannungen lösen will, muss sich unter Umständen auch von anderem trennen. «Denn oft halten wir an Dingen fest, die nicht mehr zu uns passen.»
Zur Person: Athanasios Dachtiloudis, kurz Tao, arbeitet als Physiotherapeut, Masseur und Yogalehrer im Zürcher athayoga. Er kombiniert alternative Methoden mit moderner Schulmedizin. Eine Besonderheit ist die Essential Massage, bei der man laut dem Therapeuten in Wohlbehagen badet; anschliessend fühle man sich leicht und unbeschwert. Schmerzhafte körperliche Verspannungen werden gelöst und die Muskeln gelockert. Dass der Masseur dabei in Kontakt mit dem Innenleben kommt, sei ein Nebeneffekt. Primär gehe es darum, dass der Klient in einen Entspannungszustand verfällt, der ihn wieder zurück in die eigene Mitte führt. Neben der Essential Massage bietet Athanasios Dachtiloudis auch meditatives Yoga an. athayoga.ch