Der gar nicht wirkungslose Placebo-Effekt
GAR NICHT WIRKUNGSLOS

Erwarten Sie viel: Der Placebo-Effekt

Wenn Zuckerpillen eben so gut wirken wie echte Medikamente, spricht man vom Placebo-Effekt. Wie sich unser Körper gesund täuschen lässt.

Dass positives Denken das Leben einfacher macht, ist kein Geheimnis. Wer mit Sorgenfalten auf der Stirn durch selbiges spaziert, in schwierigen Situation den Teufel an die Wand malt und Herausforderungen entgegenzittert, dem fällt es wesentlich schwerer, diese auch zu meistern. Was der Volksmund unter «Denk positiv!» predigt, hat aber nicht nur Einfluss auf unsere mentale Verfassung, sondern auch auf unseren Körper.

Dass dem so ist, entdeckte man beiläufig. Bei Studien, die eigentlich die Wirkung neuer Medikamente untersuchen sollten, verbesserten sich auch die Symptome jener Patienten, die Placebos erhielten. Doch wie konnten sie wirken? Ist Gesundheit schlussendlich nur eine Frage der Gedanken?

Wer daran glaubt, dass ihm etwas hilft, hat mehr davon

«Es ist nicht die Placebo-Pille, die wirkt, sondern die Erwartung, die mit ihr verbunden ist», sagt Antje Maly-Samiralow, Autorin des Buches «Das Prinzip Placebo». Denn eine positive Erwartungshaltung kann Heilungsprozesse beeinflussen. Wer daran glaubt, dass ihm etwas hilft, hat mehr davon. Ein Erklärungsversuch für die Genesung jener Patienten, die in Medikamenten-Studien Placebos erhielten, aber davon überzeugt waren, dass sie echte Pillen schlucken.

Die körpereigene Schmerzapotheke

Was zunächst nach Hokuspokus klingt, lässt sich wissenschaftlich belegen. Untersuchungen mittels Magnetresonanz zeigen, dass bestimmte Placebos dieselben Gehirnbereiche aktivieren wie echte Medikamente. Das ist vorallem bei Schmerzmitteln der Fall. Patienten, die Placebos bekamen, fühlten tatsächlich weniger Schmerz.«Unsere Erwartungshaltung setzt im Gehirn bestimmte Stoffe frei, die wiederum zur Schmerzreduktion führen», erklärt Antje Maly-Samiralow.

Zu dieser «Schmerzmatrix» oder «körpereigenen Apotheke» gehören Dopamine und Endorphine, die für ihre euphorisierende Wirkung bekannt sind. Endorphine können aber mehr als nur glücklich zu machen. Sie wirken auch beruhigend, dämpfen das Schmerzempfinden und werden beim Glauben an die Wirkung eines Medikaments ausgeschüttet. Es tat nicht weh, weil die Patienten schlichtweg davon überzeugt waren, dass es nicht weh tun kann. «Was wir denken und erwarten spielt eine entscheidende Rolle», sagt Antje Maly-Samiralow.

Der gar nicht wirkungslose Placebo-Effekt

Hinzu kommt der Aufwand, der mit einer Behandlung einhergeht. Scheinoperationen oder Spritzen wirken stärker als Zuckerpillen. Je grösser das Spektakel, desto grösser die Wirkung. «Es geht um Wertschätzung, schliesslich habe ich an aufwändige und kostspielige Behandlungen eine höhere Erwartungshaltung», sagt Antje Maly-Samiralow. Gemäss dem Motto «Was nichts kostet, ist nichts wert» trauen Patienten günstigen Produkten weniger über den Weg. Das sei nicht nur bei Placebos, sondern auch bei Generika der Fall.

Besser schlafen mit Zuckerpillen

Positive Erwartungshaltungen spielten auch bei einer Studie der italienischen Wissenschaftlerin Fabiana Fratello (Universität Neapel) eine Rolle. Zehn Studentinnen, die an leichten Schlaftstörungen litten, wurden drei Nächte im Schlaflabor beobachtet. Die erste Nacht diente zur Eingewöhnung, in der zweiten zeichnete man ihre Schlafqualität auf. In der dritten Nacht verabreichte man den Frauen ein Schlafmittel, das allerdings ein Placebo war. Die Ergebnisse zeigten, dass die Studentinnen nach Einnahme des Scheinmedikaments wesentlich besser schliefen.

Neben der Erwartunshaltung gibt es noch einen anderen Akteur, der Placebos kräftig unter die Arme greift: «Vertrauen befeuert den Placebo-Effekt», sagt Antje Maly-Samiralow. Auch hier fusst die Begründung nicht auf der Kraft der Einbildung, sondern neurobiologischen Prozessen. Wenn wir uns wohl und geborgen fühlen, wird das Vertrauenshormon Oxytocin ausgeschüttet. Wer vertraut, glaubt den Worten und Taten seines Gegenübers eher und hat wiederum eine grössere Erwartungshaltung. Diese Erkenntnis kann grossen Einfluss auf eine Behandlung haben, schliesslich adressiert sie ein in der Praxis nicht unwesentliches Duo: Arzt und Patient. Genauer gesagt, die Beziehung zwischen beiden. Wer sich bei dem behandelnden Mediziner gut aufgehoben fühlt und ihm vertraut, hat bessere Chancen auf Genesung.

Vertrauen befeuert den Placebo-Effekt

«Grosse Teile der Ärzteschaft sind sich offenkundig nicht darüber im Klaren, welches Potenzial sie eigentlich haben», sagt Antje Maly-Samiralow. Die meisten Mediziner stehen unter enormen Zeitdruck und können es sich nicht leisten auf die Probleme ihrer Patienten einzugehen. Dass es auch anders geht, zeigte ihr ein Gespräch, das sie unlängst mit einem Landarzt führte. Sobald ein Patient dessen Sprechzimmer betritt, wisse der Mediziner, wo der Schuh drückt. Er erkundige sich auch nach persönlichen Problemen und beschränkt sich nicht auf körperliche Beschwerden. Ein Luxus, von dem zwar nicht der Arzt, sehr wohl aber seine Patienten profitieren. «Wenn sich der Patient aufgehoben fühlt, dann ist das schon die halbe Miete», glaubt Antje Maly-Samiralow.

Der gar nicht wirkungslose Placebo-Effekt

Es wirkt, obwohl ich weiss, dass es nicht wirkt

Wenn Patienten darüber informiert werden, dass sie Scheinmedikamente erhalten, spricht man von «offenen Placebos». Zugleich werden sie darüber informiert, dass Placebos wirken können. Die Patienten werden angehalten die Pille regelmässig und gewissenhaft einzunehmen. Studien zeigen, dass auch offene Placebo-Behandlungen zu Symptomverbesserungen führen.

«Es tut gleich ein bisschen weh» oder «Das sticht jetzt» bekommen wir schon als Kind mit sanfter Stimme prophezeit, wenn wir angsterfüllt auf die Spritze in der Hand des Arztes schielen. Somit ist es nicht verwunderlich, dass auch Vorerfahrungen beim Placebo-Effekt eine Rolle spielen. Lerneffekte und Konditionierungen haben uns geprägt und zeigen Wirkung.

Wenn man weiss, dass es gleich weh tut, dann tut es auch weh

Denn was Endorphine und Oxytocin für die Schmerzdämpfung sind, ist das Hormon CCK (Cholecystokinin) für das Schmerzempfinden. Wird uns Schmerz angekündigt, verspüren wir Angst, welche wiederum dazu führt, dass CCK ausgeschüttet wird – und Schmerzen verstärkt. Wenn man weiss, dass es gleich weh tut, ist der Schmerz grösser als wenn man dem Pieks gelassen und ohne Vorahnung entgegensieht. Mit diesem Wissen trickste Antje Maly-Samiralow auch ihre panische Angst vor Spritzen aus. Sie erzählt von einem Arztbesuch, bei dem sie den Mediziner bat, nicht anzukündigen, dass es gleich weh tut. «Und es war das erste Mal in meinem Leben, dass ich nicht gespürt habe, wie die Nadel in meine Vene stach.»

Der Nocebo-Effekt

Der Nocebo-Effekt ist ein umgekehrter Placebo-Effekt und tritt ein, wenn wirkstofflose Medikamente und negative Erwartungshaltungen Beschwerden hervorrufen oder verstärken. In der Praxis kann das dazu führen, dass ärtzliche Aufklärungsgespräche Nebenwirkungen auslösen oder begünstigen.

Die Zeitschrift «New Scientist» berichtete 2009 von dem Amerikaner Sam Shoeman, der in den 70er Jahren die Diagnose «Leberkrebs im Endstadium» erhielt. Die Ärzte teilten ihm mit, dass er nur noch kurze Zeit zu leben hätte. Tatsächlich verstarb Shoeman bald darauf. Die anschliessende Obduktion zeigte aber, dass er an diesem Krebs gar nicht hätte sterben können. Sam Shoeman hat sich offenkundig darauf eingestellt zu sterben und das hat er dann auch getan, lautete das Fazit der Mediziner. 

Ist Gesundheit eine Frage der Gedanken?

Was wir denken, bereits wissen und ob wir vertrauen, führen dazu, dass Placebos der Chemie ein Schnippchen schlagen. Ist Gesundheit also wirklich nur eine Frage der Gedanken? Soweit würde Antje Maly-Samiralow nicht gehen. Das Wissen um den Placebo-Effekt sei zwar wichtig, man darf den Leuten aber nicht glauben machen, positives Denken reiche aus, um gesund zu werden. Denn was in der Placebo-Forschung nach wie vor wenig Beachtung findet, sind die sogenannten Selbstheilungsphänomene – getreu dem Spruch: Eine Grippe heilt mit Medikamenten in sieben Tage, ohne in einer Woche. Oft sei es auch Ruhe und Zeit, die zu Verbesserungen führt. «Wenn man dem Immunsystem gestattet seine Tätigkeit aufzunehmen, ist dem Patienten oft schon gedient.»

Der Placebo-Effekt in der Praxis

Nichts desto trotz können Mediziner die Erkenntnisse der Placebo-Forschung gezielt einsetzen. «Je eindringlicher Ärzte ihren Patienten erklären, wie wichtig ein Medikament für sie ist und je mehr die Patienten ihren Ärzten vertrauen, desto grösser ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie von diesem Medikament profitieren», sagt Antje Maly-Samiralow. Auch die Dossierung könnte herab gesetzt werden – vorallem bei Medikamenten, die mit starken Nebenwirkungen einhergehen oder kostspielig sind. Dass Patienten von diesem simplen Trick profitieren, zeigen Studien, die sogenannten «offene Placebo-Behandlungen» untersuchten. Die Beteiligten wurden darüber informiert, dass sie Zuckerpillen einnehmen und zeigten trotzdem Verbesserungen. Sie glaubten an die Kraft des Placebo-Effekts.

 

Der gar nicht wirkungslose Placebo-Effekt

Zur Person: Antje Maly-Samiralow hat Betriebswissenschaft studiert und arbeitet in München als freie Autorin, u.a. für den Bayerischen Rundfunk, schwerpunktmässig in den Bereichen Medizin und Wissenschaft. Ihr Buch «Das Prinzip Placebo» erschien bei Droemer Knaur.

Der Placebo-Effekt: Wie Nichts wirkt

Das Buch «Das Prinzip Placebo» beschäftigt sich mit dem Potential von Placebos und den damit einhergehenden Effekten. Erschienen ist es bei Droemer Knaur.

Text und Gespräch: Nina Grünberger / Titelbild: foto-ruhrgebiet, iStock, Thinkstock; zweites Bild: yuii, iStock, Thinkstock; drittes Bild: Anthony Boulton, iStock, Thinkstock

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